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Auf Skates von Düsseldorf nach Wien

von tuvalu

- oder: Die Geschichte vom Kopfschütteln und Achselzucken

Die ersten Tage sind vorbei. Die ersten Begleitungen haben uns verlassen. Schon nach einem Kilometer sind die ersten abgesprungen, einige haben aber auch vier Tage durchgehalten. Jetzt sind wir allein. Naja, soweit man bei sechs Leuten von allein sprechen kann. Es ist toll, von so vielen Leuten so schön und lange verabschiedet zu werden. Vielen Dank.

Langsam bildet sich bei uns eine gewisse Routine. Zwischen Sieben und halb Acht aufstehen, acht Uhr Frühstück, halb Neun fertig machen, Punkt Neun Abfahrt. Ich glaube man nennt das Urlaub… Also, Zimmer zahlen, Schoner, Helm, Skates an, Rucksack auf und los geht es. Wir tauchen ein in unsere eigene Welt. Wir werden zu einem ruhenden Pol an dem die Welt um uns herum langsam vorbeizieht. Ein Abdruck mit dem Skate - Bäume, Felder und Häuser ziehen vorüber. Ein Abdruck - Straßen, Bänke, Bürgersteige bleiben zurück. Ein Abdruck - „Fußgänger“…„Radfahrer“…„Stöckchen“…“Steinchen“…„Gulli“…die Warnrufe werden zum ständigen Begleiter und kommen eher von selbst als dass man darüber nachdenken muss.

Doch nicht nur die Warnungen werden zu unserer Routine, auch das Wasser wird zu unserem ständigen Begleiter und sorgt für die herrlichsten Landschaftsstimmungen. Erst der breite Rhein mit dem regen Binnenschiffverkehr, gefolgt vom beschaulichen Neckar mit seinen bewaldeten Hängen, der kleinen Jagst, die von der Feuerwehr wegen der drückenden Hitze „durchlüftet“ werden muss, der Wörnitz, die sich durch den beeindruckenden Rieskrater schlängelt und schließlich von der Donau, schon in Donauwörth beeindruckend breit, mal ein breites Tal, mal eine enge Schlucht.

In diese Routine der vorbeiziehenden Gegenden fügen sich weitere Routinen ein. Jeden Abend eine weitere Stadt oder ein weiteres Örtchen, nur unmerklich ändern sich Dialekte und Essensgewohnheiten. Etwas schneller wechseln die regionalen Biersorten. Zimmer suchen, „Anleger“ trinken, danach erst einchecken und duschen, bloß das Wäsche waschen nicht vergessen, denn viel Abwechslung bei der Wahl der Kleidung bietet der Rucksack nicht. „Ziehe ich heute die grüne Hose an oder lieber die grüne ?“ Dann ein zünftiges Essen mit ausreichender Getränkeversorgung. Irgendwann gehen unsere Lichter aus und am nächsten morgen ist wieder um 9 Uhr Abfahrt… und am nächsten Abend wieder Zimmersuche und Anleger. Wir „logieren“ in dubiosen Pensionen mit Satinbettwäsche, Wasserbett und Funkfernbedienung für die Dusche oder in alten Gasthöfen mit Etagendusche.

Jeder Tag beginnt wie der letzte und trotzdem ist jeder Tag anders…unglaublich wie schön Deutschland ist, unglaublich welches Glück wir mit dem Wetter haben, unglaublich wie weit man auf eigenen Füßen rollen kann… Wir erkunden Bonn und Koblenz, streifen die Pfalz, durchqueren Worms, statten dem Heidelberger Schloss einen Besuch ab, erskaten die Kaiserpfalz, Bad Wimpfen, durchqueren die Schwäbische Alb, folgen der romantischen Straße, genießen einen unvergesslichen Tag auf dem historischen Fest im mittelalterlichen Dinkelsbühl…Donauwörth, Ingolstadt, Regensburg, Passau…

Auf Wetterberichte achten wir schon längst nicht mehr. Seit Tagen scheint die Sonne, seit Tagen über 30 Grad und das sollte sich die fast 1.300 kaum ändern. Wenn Engel reisen… „Wo wollt Ihr hin?“ „Nach Wien.“ „Wieso ?“ Ungläubiges Kopfschütteln, Achselzucken, erschrockene und erstaunte Gesichter bei nahezu jeder Begegnung. Wir werden fotografiert und müssen uns in Gästebücher eintragen. 80-jährige Wirtinnen berichten uns von ihrer Zeit der „schnellen Eisenrollen“…nicht jeder versteht sie…Dialekte halt, aber wir haben glücklicherweise gerade einmal wieder dialektfähige DUSFOR-Begleitung.

„Nach Wien ? Auf Rollschuhen ?? Ihr seit ja narrisch…“

Zur Routine werden aber auch manche Unannehmlichkeiten. Nicht immer ist der Weg asphaltiert. Nicht jeder Asphalt lädt wirklich zum skaten ein. Trotzdem ist die Stimmung immer gut. Irgendwann haben wir neben dem „Sahneasphalt“ den Begriff „Sahnekrokantasphalt“ ins Leben gerufen. Manche laut Karte sehr wenig befahrene Straße, ist deswegen so wenig befahren, weil sie nicht existiert. Aber der Begriff „unskatebar“ hat für uns längst eine andere Bedeutung gefunden. Schotter hält uns schon lang nicht mehr auf, auch Waldwege sind skatebar, wenn uns auch so mancher Radfahrer für beschränkt hält. Wahrscheinlich sind wir das auch…Kopfschütteln und Achselzucken…Sehr selten müssen auch wir einsehen, dass es „unskatebar“ doch gibt. Wiesen und Auen sind wirklich nur bedingt geeignet und dann heißt es eben doch mal die Skates abschnallen und wandern. Ein Verkehrsmittel benutzen ?…never ever…

Wir folgen den Flussläufen um Steigungen möglichst zu umgehen, kommen des öfteren in den Genuss idyllischer Fährfahrten um das Flussufer zu wechseln – immer auf der Suche nach der bestmöglichen Strecke und nach dem besten Badeplatz. Aber wir wissen alle, es gibt noch eine große Unbekannte: die Wasserscheide. Diese gilt es zu überwinden, dort kann es keinen Fluss geben, denn auf der einen Seite fließt alles Richtung Rhein und nur auf der anderen Seite kann es einen Fluss Richtung Donau geben. Keiner weiß wie viele Berge überwunden werden müssen, keiner weiß wirklich wie hoch es geht bis es irgendwann wieder bergab geht, bis wir irgendwann wieder einem Flusslauf folgen können. Kurz nach Crailsheim ist es soweit, wir verlassen die Jagst und quälen uns bei weiterhin über 30 Grad mit unserem Gepäck bergauf. Zum Glück stellt sich heraus, dass nur genau ein Anstieg nötig ist, um die Wasserscheide zu überwinden, hart aber herzlich nennt man das glaube ich und natürlich sollte dieser Berg dann nicht der letzte der Tour sein…

War wirklich alles nur schön ? Nun ja, die Druckstellen, die der Rucksack uns in den ersten Tagen bereitet, gehen glücklicherweise nach ein paar Tagen wieder weg. Wohl dem, der seinem festen Entschluss den Rucksack in den Rhein zu schmeißen widerstehen konnte… Probleme durch zwangsweise unterwegs neu erstandene Skates lassen sich zwar zum Teil beheben aber sie machen einem das Bergfahren erstmal zur Hölle. Wir lernen, dass 84er und 80er Rollen sich auch dann prima auf der gleichen Schiene fahren lassen, wenn die Schienengeometrie das eigentlich nicht wirklich vorsieht. Überlastete Fußgelenke lassen sich durch Skaten hingegen leider nicht kurieren und schmerzen täglich weiter. Zum Glück wurden davon nur wenige von uns heimgesucht. Stürze hat es kaum gegeben und wenn dann sind sie glücklicherweise - und dank guter Schoner und Helm - ohne schlimmere Folgen geblieben. Sie haben aber zu einem deutlich gemäßigteren Fahrstil - vor allem bergab - geführt. Auch wenn man den Rucksack nach ein paar Tagen kaum noch spürt, bremsen und kurvenfahren muss man doch an das veränderte Gewicht und den neuen Körperschwerpunkt anpassen. „Wo kommt Ihr her?“ „Aus Düsseldorf.“ „Leck' mich am Arsch!“ Kopfschütteln und Achselzucken…

Wenn uns danach ist gehen wir baden, und bei jeder Pause haben wir das Gefühl sie uns wirklich verdient zu haben. Wir sind stolz auf unsere Leistungen und belohnen uns reichlich. Der Konsum an Radler, Apfelsaftschorle, Cola, etc. schnellt in die Höhe. Wir entwickeln schnell eine Routine im Auffinden der „besten Eisdiele der Stadt“ und überraschen so manchen Wirt mit außergewöhnlich umfangreichen Bestellungen.

Ab Passau dann bekommen wir wieder DUSFOR-Geleitschutz und die Gruppe wächst auf 15 (plus zwei UNabhängige Beobachter). Für sechs geht es nach nun schon 950 km in den Endspurt, für die anderen neun beginnt hier der Urlaub. Die Strecke Passau Wien begrüßt uns mit sehr viel Radverkehr und mit durchgängigem Asphalt – Sahne bis Sahnekrokant… Schon bald finden wir auch mit dem neuen Geleitschutz wieder zu einem gleichmäßigen Rhythmus, so dass auch die letzten Tage wie im Flug vergehen. Wer jedoch gedacht hat, das Ende ist nur noch ein leichtes Ausrollen, der sieht sich schnell getäuscht. Auf der letzten Etappe ist es mit 38 Grad wärmer als zur gleichen Zeit in Spanien und die Krokantstücke in der Sahne nehmen noch einmal besondere Form an. Irgendwann kommt Wien näher, ein Ortseingangsschild recht unspektakulär am Straßenrand, aber bald schon geht es hinüber auf die Donauinsel. Ein wirkliches Paradies für Skater, 24 km lang und komplett autofrei. Wir rollen quer über die Insel, haben einige Begegnungen mit leicht bekleideten einheimischen Skatern / Skaterinnen und werden von vielen Menschen beäugt, Menschen die gemütlich picknicken, grillen und / oder baden. Sicher sind wir ein imposanter Zug, 15 Leute im Gleichschritt hintereinander, alle im DOT mit Helm und Rucksack.

Dann sind wir da. Erschöpft aber glücklich fallen wir uns um den Hals. Wir lassen und an der Copacagrana nieder und ordern – alle - schnell die ersten Cocktails. Nur langsam können wir realisieren, dass wir tatsächlich 1.278 km auf Inlineskates quer durch Deutschland und Österreich gefahren sind, und vor allem, dass es morgen nicht mehr weiter geht. Eine Mischung aus unglaublicher Freude und Trauer macht sich breit.

Morgen werden wir nicht mehr jeden Tag woanders um acht Uhr frühstücken. Morgen werden wir nicht mehr um neun Uhr auf den Skates stehen. Morgen werden wir nicht mehr abends im Waschbecken unsere verschwitzten Klamotten waschen und auf den im Zimmer gespannten Wäscheleinen trocknen. Morgen werden wir nicht mehr in unsere eigene Welt abtauchen, in der Felder, Wiesen und Weinberge so selbstverständlich waren wie die Warnungen vor Stöckchen, Steinchen und Gullis.

Dafür werden wir beim Friday-Night-Skate in Wien angekündigt mit den Worten:

„Wir begrüßen heute auch ganz besonders unsere Gäste von DUSFOR aus Düsseldorf die den ganzen Weg bis hierhin auf Skates gekommen sind um sich uns hier und heute anzuschließen“. Und dann beginnt doch wieder alles von vorne… ungläubiges Kopfschütteln, Achselzucken, erschrockene und erstaunte Gesichter… und viele viele Geschichten. Fazit: eine atemberaubende Reise, mit unglaublich viel Glück, unglaublich viel Spaß und unglaublich vielen kopfschüttelnden Menschen. Einfach eine tolle Erfahrung.
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Teilnehmer:

Seb, karokoenig, Calimero, Sk8clipper, tuvalu, Rai, Sausejule, Parisienne, Leuchtspeedy, kangaroo, Silvi, Marie-dix-neuf, Hulda100, Roadrunner, Suse, Kirkie, AxelCGN, der rollende Hamburger, Eric, Schienenbeißer


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Tag 1 - 09.07.05 : Düsseldorf - Bonn 83 KM
Tag 2 - 10.07.05 : Bonn - Koblenz 67 KM
Tag 3 - 11.07.05 : Koblenz - Ingelheim 83 KM
Tag 4 - 12.07.05 : Ingelheim - Osthofen 77 KM
Tag 5 - 13.07.05 : Osthofen - Heidelberg 59 KM
Tag 6 - 14.07.05 : Heidelberg - Neckargerach 46 KM
Tag 7 - 15.07.05 : Neckargerach - Möckmühl 58 KM
Tag 8 - 16.07.05 : Möckmühl - Bächlingen 67 KM
Tag 9 - 17.07.05 : Bächlingen - Dinkelsbühl 53 KM
Tag 10 - 18.07.05 : Dinkelsbühl - Donauwörth 67 KM
Tag 11 - 19.07.05 : Donauwörth - Vohburg 83 KM
Tag 12 - 20.07.05 : Vohburg - Regenburg 66 KM
Tag 13 - 21.07.05 : Regensburg - Deggendorf 85 KM
Tag 14 - 22.07.05 : Deggendorf - Passau 59 KM
Tag 15 - 23.07.05 : Ruhetag Passau
Tag 16 - 24.07.05 : Passau - Efterding 67 KM
Tag 17 - 25.07.05 : Efterding - Mitterkirchen 70 KM
Tag 18 - 26.07.05 : Mitterkirchen - Melk 65 KM
Tag 19 - 27.07.05 : Melk - Traismauer 54 KM
Tag 20 - 28.07.05 : Traismauer - Wien 71 KM
Tag 21 - 29.07.05 : Wien - abends Nightskate
Tag 22 - 30.07.05 : Wien
Link: Der Wien Ticker
Link: Photos von der Tour